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dot.coaching - Warum PI Planning so oft scheitert - und was wirklich dahintersteckt

Geschrieben von Tobias Ellenberger | 29. September 2025

Das PI Planning gilt im Scaled Agile Framework (SAFe) als Herzstück. Zwei volle Tage, an denen sich 50 bis 125 Menschen aus einem Agile Release Train versammeln, um gemeinsam die nächsten 8 bis 12 Wochen zu planen. Die Agenda ist klar, die Rollen sind definiert, die Tools stehen bereit. Und doch erleben wir in der Praxis immer wieder, dass PI Plannings scheitern.

Nicht, weil die Methode falsch wäre. Auch nicht, weil die Agenda nicht eingehalten wurde. Sondern weil etwas ganz anderes im Raum steht: Psychologie, Gruppendynamik und Kommunikation.

Das Missverständnis PI Planning

Viele Organisationen verstehen PI Planning als eine technische Lösung für ein Planungsproblem. Der ganze Aufbau des PI Plannings suggeriert, dass man alles kontrollieren kann und im Griff hat.

Nach dem Motto:

„Wir brauchen einen Plan für die nächsten Monate, also machen wir ein PI Planning.“

Doch wer mit dieser Erwartung ins Event geht, erlebt fast zwangsläufig Enttäuschung. Denn PI Planning ist kein Produktionsband für Pläne. Es ist ein soziales Grossgruppenformat, das Organisationen in ihrer ganzen Verletzlichkeit spiegelt.

“Traditional pharma operating models are bureaucratic, hierarchical, and slow to respond to the dynamic environment in which they operate.”

Quelle: Can Dynamic Shared Ownership Revolutionize Pharma Organisational Design And Leadership?

Und genau darin liegt die eigentliche Herausforderung.

Wenn Transparenz zur Gefahr wird

Transparenz ist eine der Grundideen agiler Arbeitsweisen. Sie soll Klarheit schaffen, Orientierung geben und Vertrauen fördern. Transparenz ist aber auch der Treiber für Retrospektiven. Also den Moment, wo wir den Blick auf unsere Zusammenarbeit richten und schauen, wo wir uns verbessern können.

Im Bild das Resultat einer Timeline-Retrospektive und der Blick auf die Emotionen, die mit verschiedenen Events verbunden waren. Manchmal negativ und manchmal positiv. Erst wenn wir sichtbar machen, was unter der Oberfläche wirkt, können wir darüber reden. Transparenz ist folglich der Schlüssel für Veränderung und deshalb auch eine der drei Säulen der Agilität (Transparenz - Inspektion - Adaption).

In der Realität beobachten wir jedoch oft das Gegenteil:

  • Solange Transparenz die eigenen Erfolge sichtbar macht, wird sie positiv erlebt.

  • Sobald aber auch Schwächen, Abhängigkeiten oder Lücken offengelegt werden, verwandelt sich Transparenz in eine Bedrohung.

Die Grundidee des PI Plannings ist aber genau diese Transparenz. Den Raum zu schaffen, damit sich die Menschen und Teams abstimmen können. Damit Pläne koordiniert werden können. Folglich macht das PI Planning solche Punkte fast unvermeidlich sichtbar. Abhängigkeiten zwischen Teams, unerledigte Vorbereitungen, Unsicherheiten in der Architektur, alles tritt offen zutage. Für viele Menschen und Organisationen fühlt sich das an wie eine Entlarvung.

Die Folge: Vorabsprachen. Statt Unsicherheiten im Plenum auszuhandeln, werden Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen. Im eigentlichen PI Planning wird dann nur noch verkündet, was längst feststeht. Das Event verliert seinen Sinn und wird als Zeitverschwendung empfunden.

Wenn Kommunikation zur Überforderung wird

Noch herausfordernder ist die offene Aushandlung von Prioritäten.

PI Planning bedeutet, dass Business Owner, Product Management und Teams live und in aller Öffentlichkeit über Prioritäten, Ziele und Abhängigkeiten verhandeln. Genau in diesem Moment zeigt sich, wie Menschen kommunizieren, wie sie argumentieren, wie sie mit Konflikten umgehen.

Für viele, die es nicht gewohnt sind, in dieser Form und dieser Transparenz zu arbeiten, ist das eine massive Überforderung. Und seien wir ehrlich, das trifft auf die meisten von uns zu.

  • Plötzlich wird sichtbar, wer argumentationsstark ist, und wer nicht.

  • Wer Macht einsetzt, um Ziele durchzusetzen, und wer sich zurückzieht.

  • Wer Kompromisse eingehen kann, und wer starr bleibt.

  • Wer an das übergeordnete Ganze denkt, und wer nicht.

Das PI Planning macht damit nicht nur Prioritäten sichtbar, sondern auch die Kommunikationsmuster der Organisation. Und diese sind oft alles andere als reif.

Die unsichtbaren Ursachen - Psychologie und Gruppendynamik

Das Scheitern von PI Plannings hat deshalb weniger mit Technik und Tools zu tun, sondern mit Faktoren, die viel tiefer liegen:

  • Psychologische Sicherheit: Nur wenn Menschen sicher sind, dass sie für Fehler, Unsicherheiten oder kritische Fragen nicht bestraft werden, entsteht echte Transparenz. Ohne diese Sicherheit kippt Offenheit in Angst.

  • Gruppendynamik: Ein Raum voller Menschen, die alle unterschiedliche Rollen, Interessen und Machtpositionen haben, erzeugt zwangsläufig Spannungen. Statuskämpfe, Koalitionen und Konfliktvermeidung sind Teil der Dynamik.

  • Kommunikationsfähigkeit: Viele Organisationen sind nicht trainiert im konstruktiven Aushandeln von Konflikten. Statt Dialog entsteht Taktik. Und das zieht sich von der Organisation über die Teams bis zu den Menschen durch. 

  • Kultur: Wer stark in Command & Control sozialisiert ist, erlebt PI Planning als Kontrollverlust. Statt Selbstorganisation zuzulassen, greifen Führungskräfte ein und machen Vorgaben, was die Idee des Events unterläuft.

Passend dazu auch die folgende Aussage aus dem bereits erwähnten Artikel über dynamisch geteilte Verantwortung.

“It requires a cultural shift where leaders become facilitators and enablers rather than controllers.”

Warum die technische Sicht zu kurz greift

In vielen SAFe-Trainings und Coachings wird die Struktur betont: Agenda, Artefakte, ART Planning Board, Tools. Alles wichtig, aber eben nicht entscheidend.

Kein Tool, keine Agenda und kein Planning Board löst die psychologischen und kulturellen Hürden. Wenn Vertrauen fehlt, wenn Kommunikation schwach ist, wenn Konflikte nicht offen ausgetragen werden dürfen, dann kann auch die perfekte Methodik nichts bewirken.

Gerade in Remote- oder Hybrid-Settings verstärkt sich dieses Problem. Dort, wo persönliche Nähe fehlt, wird noch stärker auf Tools gesetzt und noch weniger über die eigentlichen Spannungen gesprochen.

Und hier zeigt sich oft auch eine weitere Überforderung, die inhärent mit dem PI Planning einhergeht. Die wenigsten Facilitatoren von Workshops sind es sich gewohnt, eine Gruppe von 50+ Menschen zu führen, geschweige denn Konflikte zu erkennen und diese auch innerhalb einer so grossen Gruppe adäquat moderieren zu können. Als gruppendynamischer Coach bist du dir bewusst, wie viel Übertragung in solchen Momenten stattfindet. Ohne diese Erfahrung neigst du vielleicht dazu, die Unsicherheit der Gruppe als Angriff gegen deine eigene Kompetenz zu verstehen. Kurzum, PI Planning ist ein Prüfstein für jede Organisation, jedes Team und alle Beteiligten inkl. der Moderation.

PI Planning neu denken, als soziales Experiment

Wenn wir PI Planning wirklich verstehen wollen, müssen wir es nicht als Planungsmeeting betrachten, sondern als soziales Experiment. Und es bleibt auch mit aller Vorbereitung ein Entwicklungs- und Experimentierfeld für die Organisation. Damit will ich sagen, dass auch die beste Vorbereitung nicht verhindern kann, dass ein PI Planning Dinge an die Oberfläche bringt, die zunächst verborgen sind und wir vielleicht auch gar nicht sehen wollen.

Es ist ein Labor, in dem sichtbar wird:

  • Wie reif eine Organisation im Umgang mit Transparenz ist

  • Wie konstruktiv sie mit Konflikten umgehen kann

  • Wie gross das Vertrauen zwischen Business und Teams ist

  • Wie weit sie bereit ist, echte Priorisierung zuzulassen

  • Wie gut eine Organisation mit Unsicherheiten umgehen kann

Damit wird PI Planning zur Bühne für Zusammenarbeit auf grosser Bühne. Der Wert entsteht nicht nur durch den Plan, sondern durch das gemeinsame Ringen um Ausrichtung, Prioritäten und Vertrauen.

Beispiel aus der Praxis: In jedem PI Planning lässt sich beobachten, wie Entscheide gefällt werden. Auch dann, wenn alle Entscheide bereits im Vorfeld getroffen worden sind. Selbst wenn dies in bester Absicht ("Ich will ja keine kostbare Zeit verschwenden!") getan wird, ist das Signal sehr deutlich. In diesem Fall bedeutet es, dass Entscheide nicht partizipativ gefällt werden.  

Parallelen zu Shared Ownership - PI Planning als Teil einer größeren Transformation

Die Herausforderungen, die wir beim PI Planning erleben, sind kein Einzelfall. Sie stehen stellvertretend für ein viel grösseres Muster in Organisationen: den Übergang von hierarchischer Kontrolle hin zu geteilter Verantwortung (in Extreme Programming auch referenziert als "Collective Ownership").

Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Konzept der Dynamic Shared Ownership (DSO), das im Pharma-Kontext diskutiert wird.

“Dynamic Shared Ownership is a way of distributing decision-making authority, accountability, and ownership dynamically across teams rather than concentrating them in rigid hierarchical structures.”

Die Idee: Verantwortung, Entscheidungen und Ownership liegen nicht länger bei Einzelpersonen oder Hierarchien, sondern werden bewusst auf Teams und Funktionen verteilt. Führung verändert sich – von der kontrollierenden Instanz hin zur unterstützenden Rolle.

Die Parallelen zum PI Planning sind deutlich:

  • Verteilte Verantwortung: Im PI Planning wird sichtbar, wie schwer es Organisationen fällt, Ownership wirklich zu teilen. Abhängigkeiten, Machtfragen und Unsicherheiten stehen oft im Weg.

  • Transparenz und Kommunikation: DSO betont, dass offene Kommunikation und Feedback unverzichtbar sind. Genau daran scheitern viele PI Plannings: Transparenz wird als Bedrohung erlebt, das Aushandeln von Prioritäten als Überforderung.

  • Kultur und Reife: Sowohl DSO als auch PI Planning zeigen, dass Methoden allein nicht genügen. Ohne psychologische Sicherheit, Vertrauen und Konfliktreife bleibt Shared Ownership ein leeres Versprechen.

Wer PI Planning nur als technisches Planungsmeeting versteht, unterschätzt die eigentliche Herausforderung. In Wahrheit ist es ein Testfeld für Shared Ownership. Es macht sichtbar, wie weit eine Organisation auf dem Weg von Command & Control hin zu geteilter Verantwortung schon gekommen ist.

Was Organisationen tun können

Damit PI Planning gelingt, braucht es mehr als nur gute Vorbereitung der Backlogs. Es braucht vor allem Vorbereitung der Menschen:

  • Psychologische Sicherheit schaffen: Räume gestalten, in denen auch Unsicherheiten und Schwächen ausgesprochen werden dürfen.
    Beginne jedes Planning mit einer kurzen Runde "Check-in" (z. B. Stimmungsbarometer, ein Wort zum Befinden). Schon kleine Rituale normalisieren Offenheit und signalisieren, dass Verletzlichkeit erlaubt ist.

  • Kommunikation üben: Aushandeln, Priorisieren und Konfliktlösen sind Kompetenzen, die trainiert werden können.
    Nach jeder Diskussion bewusst eine Person benennen, die die verschiedenen Argumente zusammenfasst ("Lasst mich kurz spiegeln, was ich gehört habe …"). Diese kleine Routine stärkt Zuhören, Verstehen und reduziert Eskalationen.

  • Kulturelle Arbeit leisten: PI Planning zeigt die Muster einer Organisation schonungslos. Diese sichtbar zu machen ist der erste Schritt, daran zu arbeiten der zweite.
    Baue am Ende jedes PI Planning ein "Mini-Reflexionsformat" ein (5 Minuten: "Welche Muster haben wir heute bei uns gesehen?"). Kulturarbeit wird dadurch nicht ein Sonderprojekt, sondern eine Gewohnheit im Alltag.

  • Vorbereitung erweitern: Nicht nur die Inhalte müssen vorbereitet sein, sondern auch die Erwartungshaltung: Was wollen wir im Event erreichen, wie gehen wir mit Konflikten um?
    Vor jedem PI Planning zwei kurze Vorab-Übungen: (1) Business Owner formulieren explizit, was sie offen diskutieren wollen. (2) Teams schreiben eine Befürchtung auf Post-its. Diese einfachen Routinen machen Erwartungen transparent, bevor die große Bühne beginnt.

Zum Schluss: Die eigentliche Chance des PI Planning

PI Planning ist kein technisches Rezept für einen besseren Plan. Es ist ein soziales Grossereignis, das die Organisation zwingt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.

Wer das Event nur als Planungsinstrument versteht, wird es als anstrengend, überfordernd und ineffizient erleben.

Wer es jedoch als Chance sieht, Kommunikation, Vertrauen und Zusammenarbeit auf eine neue Stufe zu heben, der wird weit mehr gewinnen als einen Quartalsplan.

Denn dann wird PI Planning zur Bühne, auf der Organisationen lernen, was sie wirklich stark macht: psychologische Sicherheit, konstruktive Kommunikation und gemeinsames Vertrauen.

PI Planning ist damit nicht nur ein Test für agile Methoden, sondern auch ein Prüfstein für die Bereitschaft zu geteilter Verantwortung. Konzepte wie Dynamic Shared Ownership zeigen, dass Organisationen weltweit an denselben Fragen arbeiten: Wie gelingt es, Macht loszulassen, Verantwortung zu teilen und Vertrauen zu leben? PI Planning kann in diesem Sinne mehr sein als ein Planungsevent; es kann ein Entwicklungsschritt auf dem Weg zu einer neuen Form von Organisation sein.

Quelle DSO: Can Dynamic Shared Ownership Revolutionize Pharma Organisational Design And Leadership?