Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass sich Bereiche mit überschneidenden Aufgaben und Zielen im Alltag gegenseitig behindern. Der intuitive Reflex ist oft, klare Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten (AKV) zu definieren. Doch was, wenn das nicht ausreicht? Ein effektives Organisationsdesign muss über Rollenbeschreibungen hinausgehen und die Struktur selbst hinterfragen.
In unserem Blog Beitrag zu Flight Levels beschreiben wir verschiedene Gründe für organisatorische Spannungen wie zum Beispiel organisatorischer Silos, mangelnde strategische Ausrichtung oder unzureichende Führung und Management. In der Regel haben solche innere Spannungen einen gemeinsamen Nenner / Grund. Wenn sich ein System (aka Organisation) zu lange nicht hinterfragt - zum Beispiel in Form einer Retrospektive - läuft sie Gefahr, notwendige Anpassungen zu verschlafen.
Es kann aber auch sein, dass eine Reorganisation nicht vollständig durchgeführt wird, weil die unterschiedlichen Erwartungen nicht klar ausdifferenziert wurden; nach wenigen Schritten stoppt oder schlicht nicht durchdacht durchgeführt wird. Es gibt folglich viele Gründe, die zum Scheitern einer Transformation führen können.
Diese oft sehr diversen Gründe führen entsprechend zu Blockaden und die Frage lautet, wie gehen wir mit solchen Blockaden um, resp. wie können wir Betroffene zu Beteiligten machen. Eine Variante könnte da die Kollaborations Retrospektive sein. Häufig werden Arbeitsgruppen gebildet, die einen neuen Vorschlag ausarbeiten sollen. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Arbeitsgruppen nicht alle Betroffenen beteiligen können. Oft sind die Spannungen auch nicht überall gleich stark zu spüren und so kann es Sinn machen, eine spezifische Arbeitsgruppe aus den betroffenen Bereichen zu bilden. Das wirkt auf den ersten Blick effizient, weil ja nur ein kleiner Teil sich einig werden muss. Auf der anderen Seite schliesst es andere Menschen aus, die sich dann, als vielleicht auch nur teilweise Betroffene, ausgeschlossen fühlen und selbst wiederum in eine Blockade gehen.
In einem kürzlich durchgeführten Workshop mit der Geschäftsleitung eines Unternehmens haben wir genau dieses Phänomen beobachtet. Mehrere Unternehmensbereiche hatten ähnliche Aufgaben, was zu Ineffizienzen, Reibungsverlusten und Verantwortungsdiffusion führte. Der initiale Lösungsansatz bestand darin, über AKV eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten herzustellen. Doch bei genauerer Analyse zeigte sich: Die eigentliche Herausforderung lag nicht in der Unklarheit der Aufgaben, sondern in der Art, wie die Organisation strukturiert war. Ein optimiertes Organisationsdesign (Target Operating Model) war notwendig. Gleichzeitig soll nicht erneut die gesamte Organisation belastet werden. Ganz entsprechend dem bereits vorgestellten Transformationsansatz mit den Wardley Maps wollten wir einen klaren Fokus setzen.
AKV-Modelle, also die Klärung der Aufgaben, Kompetenzen und der Verantwortung, sind ein hilfreiches Instrument, um Rollen zu klären. Beispielsweise mit LEGO SERIOUS PLAY lassen sich da wertvolle Resultate erzielen. AKV-Modelle haben aber auch ihre Grenzen. Sie setzen voraus, dass eine Organisation statisch und linear funktioniert – in der Realität sind Unternehmen jedoch oft komplexe, dynamische Systeme. Das Problem der Überschneidungen und Verantwortungsdiffusion ist deshalb nicht durch eine exaktere Definition der AKV's zu lösen, sondern durch ein grundlegendes Neudenken der Struktur. Die folgenden drei Perspektiven sind dabei zentral:
Ein entscheidender Faktor ist die Frage, nach welcher Perspektive die Bereiche, Einheiten oder Teams geschnitten werden. Teams können beispielsweise nach Wert (Value Streams / Wertschöpfung), nach Kunden, nach Produkten oder nach Services organisiert werden. Oft ist es notwendig, eine geeignete Mischform zu finden – also beispielsweise sowohl nach Kunden als auch nach Services zu strukturieren. Die Wahl des richtigen Schnittmusters beeinflusst massgeblich die Effizienz und Effektivität der Organisation.
Um diese Fragen zu beantworten, haben wir mit der Arbeitsgruppe verschiedene Modelle herangezogen, insbesondere das Team-Topologien-Modell von Manuel Pais und Matthew Skelton sowie das unFIX-Modell von Jurgen Appelo. Diese Modelle helfen, Organisationen modular und anpassungsfähig zu gestalten. Gleichzeitig aber haben wir diese Modelle in den Kontext von unserem Metamodell Verhältnisse-Verhalten-Haltung gesetzt. Gerade bei den Team Topologien von Pais & Skelton haben wir Beispiele von Verhältnissen, bei denen OrganisationsentwicklerInnen acht geben müssen, dass diese sich nicht verfestigen, sondern ihren temporären Charakter behalten.
(Quelle: Team Topologies https://teamtopologies.com/key-concepts)
Team Topologien (Pais & Skelton) helfen Unternehmen, ihre Teams gezielt auf die Wertschöpfung auszurichten. Sie definieren vier grundlegende Team-Typen:
Das Team Topologien Modell hilft folglich Organisationen, Überschneidungen zu identifizieren und Teams mit klaren Interaktionsmustern aufzustellen, sodass eine übermässige Abhängigkeit zwischen Teams vermieden wird. Bevor wir euch aufzeigen, wie wir es einsetzen, wollen wir aber noch den Blick auf weitere Modelle werfen.
(Quelle: unFIX https://unfix.com/what-is-unfix)
Das unFIX Modell (Appelo) geht noch einen Schritt weiter und zeigt auch Ansätze und Ideen für eine fluidere, anpassbare Organisation auf. Anstatt fixe Strukturen zu definieren, setzt es auf ein umfassendes Set an Strukturen und Praktiken, die Organisationen helfen, flexibler zu werden. Besonders hervorzuheben ist, dass wir hier nicht von einem Framework, einem Design oder gar einem Vorgehen reden. Stattdessen ist das unFIX Modell eine Sammlung von Best-Practices. Hier erwähnen wir ein paar der Kernelemente, die für den Kontext der Teams (bei unFIX heissen die Teams Crews) relevant sind.
Structural Patterns: Diese Muster helfen dabei, das Grunddesign der Organisation zu gestalten und eine effektive Balance zwischen Stabilität und Anpassungsfähigkeit zu schaffen.
Decisions & Goal Setting Patterns: Diese legen den Grundstein für Entscheidungsprozesse und strategische Zielsetzungen. Sie sind essenziell, damit die Crew-Setups überhaupt funktionieren können.
Crew-Typen: Bevor wir uns über die Crew-Typen unterhalten können, müssen wir darüber reden, dass unFIX vier unterschiedliche Team Optionen beschreibt. Jeder darauf aufbauende Crew-Typ basiert auf einer dieser Team Optionen. Ein Team kann als stabiles dynamisches, liquid oder Mission Team definiert werden. Diese Unterscheidung hilft bereits zu verstehen, welches Mass an Selbstorganisation und oder Führung sinnvoll ist.
Basierend auf den vier Team Optionen sind sieben verschiedene Crew-Typen möglich, die je nach Bedarf eingesetzt werden. Für den Theorieinput in diesem Blog Beitrag beschränken wir uns hier auf eine Auswahl von vier Crew-Typen.
Das unFIX Modell erlaubt eine evolutionäre Entwicklung der Organisation und ermöglicht eine schnelle Anpassung an sich ändernde Marktbedingungen. So gibt es neben den vier beschrieben Crews auch noch Crews die gerade Organisationen brauchen könnten, damit "das Grosse Ganze" funktionieren kann. Gemeint sind zum Beispiel Partnership Crews, die je nach Organisation sinnvoll sein können, um Kunden- und Partner-Beziehungen zu pflegen. Ein weiteres Beispiel sind die Governance Crews bei denen wir Themen wie Governance, Risk und Compliance ansiedeln könnten. Wie alle hoch dynamisch robusten Modelle ist unFIX für Organisationen aber sehr voraussetzungsreich. Diverse Denkansätze die wir beispielsweise aus der Agilität bereits kennengelernt haben und im speziellen agile Führungskonzepte , werden bei diesem Ansatz als Grundhaltung vorausgesetzt. So würden wir dieses Modell sehr gerne öfters einsetzen, in vielen Unternehmen fehlen jedoch die Voraussetzungen für eine derart fluide Struktur.
Es gäbe noch eine Vielzahl anderer Modelle, die Aussagen über Teams machen. So finden wir in den Frameworks von Scrum, SAFe, LeSS oder dem Blueprint des Spotify Engineering Models spannende Ideen und Ansätze für Teamschnitte. - Eigentlich ist das Spotify Engineering Model ja ein Snapshot der Entwicklung von Spotify, aber meine BeraterkollegInnen werden nicht müde, das Spotify Model als Framework zu verkaufen... aber lassen wir das. - Der Grund, wieso wir diese Modelle hier nicht auch im Detail mit Fokus auf die Frage der Team Topologien analysieren ist, wenn auch etwas pauschalisierend, wie folgt. Scrum fokussiert auf ein Team mit drei klaren Rollen. Das Scrum Team hat per Definition einen klaren Produktfokus. SAFe kombiniert verschiedenen Ansätze von Scrum, Kanban, Team of Teams über Skalierung bis zum Einsatz der erwähnten Team Topologien. Neben viel Gutem gibt es in SAFe u.a. zwei konzeptionelle Herausforderungen. Durch die Skalierung und die per Definition enge Zusammenarbeit der Teams innerhalb eines Release Trains ergeben sich sowohl für die Scrum Master Rolle, als auch für die Product Owner Rolle spezifische Herausforderungen in den Verantwortlichkeiten. Nachzulesen unter den Stichworten PM-PO Problem und oder auch RTE-SM Problem. LeSS, ein weiteres Modell, wie agile Ansätze skaliert werden können und hat aus der Perspektive der Organisationsentwicklung einen (zu) starken Fokus auf Produktentwicklung. Das ist nicht per se schlecht, sondern sogar wirklich gut, reicht aber für einen holistischen Blick auf die Organisation oft nicht aus. In den Details von LeSS lassen sich dann, ähnlich wie bei SAFe, erneut die Ansätze von Team of Teams, Scrum und die in diesem Beitrag beschriebenen Team Topologien finden.
Einen ganz anderen Blick auf Team Topologien geben uns die Modelle und Theorien der Gruppendynamik. Wir schätzen und anerkennen auch deren Wert. In unserem Ansatz kommen diese aber erst dann zu tragen, wenn eine erste Idee für eine Lösung skizziert worden ist. Mehr zum Thema Gruppendynamik findest du ebenfalls in unserem Blog.
Bevor wir irgendetwas verändern, muss uns klar sein, wohin die Reise gehen soll und warum wir etwas verändern. Ob wir im Requirements Engineering bei der Ermittlung von Anforderungen nach dem Warum fragen, oder bei der Organisationsentwicklung das Why reflektieren, Zielklarheit ist immer eine gute Basis. Zumal dann, wenn hunderte Menschen von den potentiellen Veränderungen direkt betroffen sind und automatisch wissen wollen, warum sie sich für diese Veränderungen begeistern sollen. Wir starten am besten also mit einer aussagekräftigen Vision, damit wir für die weiteren Schritte eine möglichst gute Balance zwischen Autonomy und Alignement finden.
Basierend auf der Vision zeigen wir die unterschiedlichen Perspektiven auf potentiell mögliche Organisationsdesigns, wir nenne diese Perspektiven mitunter auch Schnittmuster, und öffnen so den Blick auf mögliche Varianten, wie die zukünftigen Teams zusammenarbeiten könnten. Unterschiedliche Perspektiven können sein, wie ein Service geleistet wird, wie Produkte erstellt werden, wie Kundeninteraktionen gestaltet werden und unterscheiden sich von Organisation zu Organisation. Es gab auch schon Organisationen, bei denen wir Mischformen einsetzten und dies die beste Lösung war. Am besten hat sich bewährt hat sich, die verschiedenen Varianten in einem iterativen Ansatz Muster für Muster zu besprechen, verwerfen, weiterentwickeln und zu testen.
Dabei ist das Testen der Schnittmuster einer der wichtigsten Punkte in der Vorarbeit und Evaluation der zukünftigen Lösung. Die verschiedenen Organisationsdesigns können über unterschiedliche Szenarien (Beispielsweise in Form von Use Cases) überprüft und durch Simulationen getestet werden. So lässt sich herausfinden, welche Struktur in der Praxis am besten funktioniert, bevor weitreichende organisatorische Entscheidungen getroffen werden.
Hey! Du hast es bist hier durchgehalten? Vielen Dank für dein Interesse an diesem Thema! Zum Schluss nun noch ein paar Tipps und ein "Wort zum Schluss".
Wie dir vielleicht aufgefallen ist, sind wir Verfechter von itartiven Lösungsansätzen und bedienen uns bei einer Vielzahl von Modellen und theoretischen Ansätzen. Deshalb wird es dich wahrscheinlich nicht überraschen wenn wir sagen:
Die schlechte Nachricht: Es gibt keinen Blueprint für deine Organisation.
Die gute Nachricht: basierend auf den vielen Modellen können dich erfahrene OrganisationsentwicklerInnen auf dem Weg deiner Organisation hin zu einer dynamisch robusten Organisation unterstützen.
Gerne teilen wir unsere Erfahrung. Deshalb nun noch ein paar letzte Tipps:
Ein sauberes Organisationsdesign (Target Operating Model) ist nicht in Stein gemeisselt, sondern muss sich mit den Anforderungen des Unternehmens weiterentwickeln. Wer über AKV hinausdenkt und bewusst mit neuen Modellen arbeitet, kann seine Organisation widerstandsfähiger und leistungsfähiger machen.