Der wirkliche Preis von Qualität - dot.quality-time Serie

Marcel Ruetschi
29. September 2022

Dass fehlerhafte Produkte Schäden verursachen können, ist uns allen bekannt. Die direkten Auswirkungen reichen von einem müden Lächeln, wenn eine Spiele-App abstürzt bis hin zur Gefährdung von Menschen und Umwelt - in der Medizin, dem Transportwesen oder der Chemie. Unabhängig vom Schadenmass hat jeder Produktfehler direkte Konsequenzen für den Schadenverursacher. Finanziell reichen sie von einem möglichen Umsatzrückgang bis hin zur Insolvenz einer Unternehmung.

Um die finanziellen Risiken abzuschwächen, investieren Firmen in Versicherungen und Qualitätssicherung. Weit nachhaltigere und grössere Schäden wie zum Beispiel Reputationsverlust können weder beziffert noch versichert werden. Darum findet man sie wie auch Mitarbeiterzufriedenheit kaum auf der Risikoliste eines Projektes. 

Mit diesem ersten Blog-Beitrag in der dot.quality-time Serie beleuchte ich die Qualitätskosten mit Fokus auf die Auswirkungen für die Organisation. Ich identifiziere die effektiven Kostentreiber und liefere praktikable Lösungsvorschläge für eine sinnvolle Investition in nachhaltige Qualität.

Qualität kostet nichts

 Qualität ist lediglich eine Einheit, um die Erfüllung von erwartetem Systemverhalten zu messen, oder...

«...die Güte aller Eigenschaften eines Objektes, Systems oder Prozesses»
Wikipedia

Auch betriebswirtschaftlich gesehen spricht man nicht von Kosten, sondern von Investitionen, welche messbaren Mehrwert generieren.

In der oben zitierten Definition sind zwei fundamentale Aspekte, welche die meisten Unternehmen vor grosse Herausforderungen stellen:

  1. Die holistische Sicht auf Qualität fehlt
  2. Der Mehrwert wird entsprechend einseitig definiert

Quality Analyse

Der potenzielle Mehrwert einer ganzheitlich betrachteten Qualität ist enorm. Wie in der Definition beschrieben, bezieht sich Qualität nicht nur auf das Objekt (Produkt), sondern auch auf die Prozesse und das System. Natürlich bedarf es bei den Systemen einer Eingrenzung auf das professionelle Umfeld, aber eines der wichtigsten Systeme ist ein funktionierendes, befähigtes Team, welches sich für den Erfolg einer Unternehmung einsetzt.

Eine holistische Qualitätsstrategie beeinflusst die gesamte Firmenkultur, weil sie fundamentale Bedürfnisse des Menschen und dessen Haltung gegenüber einer Organisation beeinflusst. Wenn die systematischen Verhältnisse stimmen, klappt es auch mit dem Verhalten in Bezug auf die erwartete Qualität.

Qualitätssicherung kostet

Wie bereits erwähnt war ich viele Jahre im Bereich der Qualitätssicherung tätig. Die Wichtigkeit des Testens wird von mir auch nicht in Frage gestellt, lediglich um weitere Aspekte erweitert.

Eine einseitige, rein produktfokussierte Qualitätsstrategie ist der grösste Kostentreiber. Ein Grund dafür ist, dass der Mehrwert von reaktiven Testaktivitäten alleine darin besteht, die Symptome eines Systems aufzuzeigen.

Dazu ein konkretes Beispiel: Ich coache aktuell Teams einer Unternehmung, die über mehrere Jahrzehnte viel Zeit und Geld in den Aufbau ihrer Testorganisation investiert hat. Ursprünglich war das Produkt reine Hardware, in welches immer mehr Software integriert wurde. Für die Entwicklung einer übergreifenden Plattform und dem Übergang zu agiler Entwicklung wurden Werkzeuge angeschafft und Personal zum Finden von Fehlern ausgebildet. Embedded Tester werden immer mehr in die Entwicklungsteams integriert und können frühzeitig Feedback zur Qualität von User Stories und dem entwickelten Code liefern.

Trotz all den Aufwänden verschlechtert sich die Produktqualität und die erwartete Produktivitätssteigerung der Teams bleibt aus. Die erste Reaktion auf die Situation war, dass nach mehr Testern und Testautomatisierung verlangt wurde. Eine typische und nachvollziehbare Reaktion einer Unternehmung, bei welcher über Jahre hinweg die Validierung für die regulatorische Abnahme im Mittelpunkt stand. Der Projekterfolg stand und fiel mit der Qualität eines Produktes, welches durch eine Organisationseinheit erstellt wurde.

Die übergreifende Software-Plattform benötigt Informationen von acht verschiedenen Modulen. Jedes Modul-Team hat mehrere Aufträge und unterschiedliche Ziele. Die Folgekosten der einseitigen Qualitätsstrategie widerspiegelt sich aktuell in der Effizienz und der Effektivität der Projekte.

  • Eine permanente Überbelastung durch mehrere Auftraggeber führt zu Stress, Mehrarbeit und einem Ungleichgewicht der Work-Life Balance
  • Unklar definierte Ziele führen zu Frustration, weil eine Erreichung praktisch unmöglich ist
  • Dadurch fehlt es auch an Anerkennung und führt zu Enttäuschung und psychologischer Unsicherheit

Idealer Teller

Diese Punkte lassen sich direkt auf den Mangel von holistischer Qualität zurückführen. Bemerkbar machen sie sich durch Demotivation, Frustration und Resignation, was im schlimmsten Fall in krankheitsbedingten Abwesenheiten oder Kündigungen endet. Was diese Folgen für Kosten verursachen, wird leider viel zu wenig in berücksichtigt.

Mehrwert Qualität

Um die genannten Punkte zusammenzufassen: Es ist sinnvoll, die Qualität an den Orten zu fördern, wo sie auch entsteht. Damit sind nicht Architekten oder Entwickler gemeint – Qualität beginnt in der Unternehmensführung, indem die richtigen Voraussetzungen für die Organisation geschaffen und vorgelebt werden.

Konkret bedeutet dies, dass bereits bei der strategischen Ausrichtung und Planung die Bedürfnisse und Kapazitäten der Organisation bekannt sind und entsprechend berücksichtigt werden. Nachhaltigkeit bedeutet eine Investition in die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse und Systeme einer Unternehmung.

Dies setzt voraus, dass die gesamte Organisation als System mit Grenzen wahrgenommen wird. Eine Überlastung führt zu Stresssituationen, und deren Auswirkungen sind weder vorhersehbar noch lässt sich der Schaden beziffern. Damit die Systemgrenzen fassbar werden, benötigt es Transparenz seitens der Teams in Bezug auf Fortschritt und Aufwänden. Wenn ich die Redundanzen, Leerläufe und Klärungsaufwände in Projekten analysiere, ist eine durchschnittliche Effizienzsteigerung von 15-20% durchaus realistisch.

Der erste Schritt zu dieser Effizienz- und Qualitäts-Steigerung beginnt mit der gemeinsamen Definition von sinnvollen, messbaren und erreichbaren Zielen. Es ist nun einmal so, dass wir Menschen viel motivierter und engagierter Ziele erreichen möchten, wenn wir den Mehrwert erkennen. Der regelmässige Austausch zwischen Profis aus den verschiedenen Domänen über die verschiedenen Geschäftsbereiche unterstützt auf der einen Seite die Motivation für ein Vorhaben und lässt die Teams andererseits gemeinsam Herausforderungen meistern.

Die kollaborative Zusammenarbeit schafft auch kollektives Wissen, ein extrem wichtiger Schlüssel für gute Qualität, und wenn das relevante Wissen zentral dokumentiert wird profitiert die gesamte Unternehmung.

Was hat das mit Qualität zu tun? Fast alles! Weil Qualität bedeutet, dass man sich wohl, wahr- und ernstgenommen fühlt. Ein frühes Involvement fördert nicht nur das Verständnis für die Erwartungen und Herausforderungen, es ist auch ein Zeichen der Anerkennung. Die Teams verstehen die erwarteten Ziele und ihre Kunden wissen, dass es vor allem in komplexen Systemen zu Komplikationen kommen kann. Dieses Wissen schafft eine Partnerschaft und unterstützt die soziale Sicherheit.

Bevor ich zum Schluss meines ersten Blogs komme, muss folgendes noch gesagt werden: Kollaborationen und Partnerschaften im Unternehmen zu etablieren benötigt hohe Disziplin und ein Umdenken in sehr vielen Bereichen. Auch wenn der Austausch partnerschaftlich ist, im Vordergrund steht immer der Mehrwert. Für die Organisation, für das Team und für die Einzelperson.

Teller & Co-1

Gemeinsam erarbeitete Ziele und relevante Informationen werden dokumentiert und zentral zur Verfügung gestellt. Eine wichtige Voraussetzung für Verständlichkeit, Wartbarkeit und Effizienz. Gemeinsame Vereinbarungen werden richtig und in der definierten Zeit geliefert und ebenso konsequent eingefordert. Alles messbare Qualitätsmerkmale einer Organisation und in der Quintessenz. die relevanten Investitionen in eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung.

Welche Hebel zur Verfügung stehen und wie eine kontinuierliche Qualitätssicherung etabliert werden kann, ist Thema des nächsten dot.quality-time Blogs.

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