dot.tipp - Flow vs. Ressource Efficiency: Warum alle busy sind, aber nichts fertig wird
In der Welt der Prozessoptimierung gibt es zwei grundlegende Philosophien, die regelmässig aufeinanderprallen: Flow Efficiency und Resource Efficiency. Beide haben ihre Berechtigung und ihre Vorteile, doch welche bringt uns wirklich weiter?
Was steckt hinter den Begriffen?
Bevor wir tiefer in das Thema einsteigen, werfen wir einen kurzen Blick auf die Begrifflichkeit und illustrieren diese mit einem Beispiel.
Resource Efficiency
Diese Denkweise hat ihre Wurzeln in der klassischen Betriebswirtschaftslehre. Vereinfacht gesagt geht es darum, alle vorhandenen Ressourcen – sei es Maschinen, Menschen oder Zeit – so effizient wie möglich einzusetzen. Das Ziel ist, die Produktivität zu maximieren und/oder die Kosten zu minimieren, indem alle Ressourcen konstant und vollständig ausgelastet sind. Die massgebende KPI ist in diesem Fall die Auslastung der Ressourcen.
Beispiel: Stell dir eine Produktionsanlage vor, in der mehrere Maschinen hintereinander arbeiten. Bei Resource Efficiency geht es darum, jede Maschine so viel wie möglich arbeiten zu lassen, um Stillstandszeiten zu vermeiden. Eine Maschine, die stillsteht, wird als „Ineffizienz“ betrachtet, weil sie in dieser Zeit keinen Output generiert.
In einem Büro oder Dienstleistungsunternehmen bedeutet Resource Efficiency, dass alle Mitarbeiter ständig beschäftigt sind, ohne Leerlaufzeiten. Das Ziel ist es, die Arbeitszeit so zu nutzen, dass keine Minute vergeudet wird. Das klingt auf den ersten Blick vernünftig, kann aber zu Problemen führen, wenn es keine Pausen im Arbeitsfluss gibt und die einzelnen Arbeitsschritte nicht aufeinander abgestimmt sind.
Flow Efficiency
Diese Denkweise stellt folgende Frage in den Mittelpunkt: Wie flüssig bewegt sich Arbeit durch den gesamten Prozess? Es geht darum, die Zeit zu minimieren, die ein Produkt oder eine Dienstleistung vom Anfang bis zum Ende im System verbringt. Der Fokus liegt auf dem Gesamtprozess, nicht auf der Auslastung einzelner Ressourcen. Die massgebende KPI ist in diesem Fall die Durchlaufzeit ("Cycle Time") des Outputs.
Beispiel: Stell dir eine Notaufnahme im Krankenhaus vor. Bei Resource Efficiency könnte man darauf abzielen, jeden Arzt ständig mit Patienten zu beschäftigen. Bei Flow Efficiency schaut man dagegen auf die gesamte Patientenreise – von der Anmeldung bis zur Entlassung – und versucht, die Wartezeiten zu minimieren, auch wenn das bedeutet, dass nicht jeder Arzt zu jeder Zeit voll beschäftigt ist. Der Wert liegt darin, den Patientenfluss zu optimieren, sodass Behandlungen schneller und koordinierter ablaufen und die Zeit, die ein Patient im Krankenhaus verbringt, minimiert wird. Ein anderes Beispiel ist die Verpflegung der Patientinnen und Patienten.
Warum wir oft falsch abbiegen
In vielen Unternehmen wird Resource Efficiency nach wie vor als heilige Kuh betrachtet. Aus tayloristischer Sicht ist es das zugegebenermassen auch - nur ist wissensintensive Arbeit schwerlich mit industrieller Massenproduktion vergleichbar, oder?
Nichtsdestotrotz ist dies noch Alltag in vielen Organisationen. Alles folgt dem Credo "Jede/r muss beschäftigt sein" - denn sonst ist man per Definition nicht produktiv - man hätte ja in der Zeit "etwas Nützliches erledigen können" - Leerlauf ist das Feindbild. Auch die letzten 10% des Experten werden noch auf ein fünftes Projekt verplant. Das Problem dabei ist jedoch, dass diese Herangehensweise oft zu sogenannten „lokalen Optimierungen“ führt : Jede Abteilung, jedes Team, ja jedes Individuum mag für sich betrachtet effizient arbeiten. Das Grosse-Ganze stockt dennoch.
Das Paradoxon liegt nun darin, dass die Gleichung:
Jede/r arbeitet für sich genommen individuell effizient = Das Grosse-Ganze ist maximal effizient einfach nicht stimmt. Die Folge: Die Arbeit stapelt sich in Übergabepunkten, alles wird gleichzeitig gemacht, dadurch bleiben Aufgaben liegen, und am Ende fragen sich alle, warum denn das neue Produkt nicht schneller auf den Markt kommt.
Lean lässt grüssen: Warum Kaizen und Flow Efficiency dieselbe Sprache sprechen
Auch aus der Lean-Management-Perspektive lassen sich wichtige Parallelen ziehen. Konzepte wie Kaizen (kontinuierliche Verbesserung) und das gezielte Eliminieren von Muda (Verschwendung) zielen im Kern nicht nur auf Ressourcenauslastung, sondern auf die Verbesserung des gesamten Wertstroms. Lange Wartezeiten, unnötige Transporte oder Überlastung sind klassische Beispiele für Muda, die oft auftreten, wenn lokale Ressourcenziele über das Gesamtoptimum gestellt werden. Flow Efficiency entspricht damit im Grunde dem Lean-Prinzip, den Wert für den Kunden durch einen möglichst störungsfreien Fluss ohne Reibungsverluste zu erzeugen. Kontinuierliche Verbesserung bedeutet hier also nicht, jede Ressource schneller zu machen, sondern die Zusammenarbeit im Gesamtsystem klüger zu gestalten. Letztlich ist es genau dieser Kaizen-Gedanke, der uns hilft, nicht einfach beschäftigter, sondern tatsächlich wirksamer zu werden.
Der Schlüssel: Balance finden
Doch wie immer ist die Wahrheit komplexer. Ein leer laufendes Team bringt uns genauso wenig weiter wie eines, das ständig überlastet ist. Die Kunst liegt in der Balance. Resource Efficiency und Flow Efficiency müssen kein Widerspruch sein. Vielmehr sollten sie Hand in Hand gehen, um echte Verbesserungen zu erzielen. Die Schwierigkeit liegt nun darin herauszufinden, wie viel Resource Efficiency möglich ist, ohne dass die Flow Efficiency signifikant leidet. Wer diesen Punkt trifft, agiert am wirtschaftlichen Optimum.
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Engpässe erkennen und abbauen: Statt jedes Zahnrad einzeln zu optimieren, sollten wir die Engpässe im Prozessfluss identifizieren. Hier steckt oft der größte Hebel zur Verbesserung. Das Zauberwort hierbei lautet "Systems Thinking" bzw. die darunter liegende Systemtheorie.
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Überlast vermeiden: Überlastete Teams produzieren Fehler und Verzögerungen. Ein „Ausgepowert bis zum letzten Prozent“-Ansatz ist langfristig nicht haltbar.
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Flexible Ressourcen: Setze deine Teams ein, um dort zu unterstützen, wo gerade die höchste Priorität liegt. Das reduziert Wartezeiten und sorgt für flüssigen Arbeitsfluss, aber:
- Vermeide permanentes Start-Stop: Flexibilität hat seine Grenzen. Wenn Teams jede Woche an anderen Aufgaben arbeiten, ist das nicht nur nervig, sondern auch nicht effizient. Schuld sind die so genannten "Task-Switching"-Kosten, also die Kosten, die entstehen, damit ich mich wieder in die Aufgabe einarbeite.
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Kundenfokus: Am Ende des Tages geht es darum, Kunden schnell und qualitativ hochwertig zu bedienen. Das große Ziel ist nicht, dass jeder Einzelne stets 100 % ausgelastet ist, sondern dass der Output stimmt.
Fazit: Flow als Herzstück einer modernen Effizienzstrategie
Flow Efficiency bietet uns eine neue Perspektive auf das Thema Effizienz. Es geht nicht darum, die „alten“ Methoden komplett über Bord zu werfen, sondern darum, sie sinnvoll zu ergänzen. Statt nur darauf zu schauen, wie wir unsere Ressourcen bis zum letzten Prozent ausreizen können, sollten wir vielmehr den Fluss unserer Arbeit in den Blick nehmen. Denn manchmal ist weniger wirklich mehr – vor allem dann, wenn es den Gesamtprozess flüssiger macht und somit auch aus wirtschaftlicher Sicht plötzlich sinnvoll ist, dass gewisse Ressourcen eben nicht immer 100% ausgelastet werden.
Was denkst du? Arbeitest du in einem Unternehmen, das auf Flow oder Resource Efficiency setzt? Hast du Beispiele, wo die eine oder andere Philosophie geholfen oder geschadet hat? Lass uns darüber sprechen – ich freue mich auf deine Kommentare!
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