dot.coaching - Evolution der Vorgehensmodelle

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07. März 2025

Von Wasserfall zu Scrum – die Welt der Vorgehensmodelle hat sich radikal verändert. Doch der grösste Wandel liegt nicht in Methoden oder Prozessen, sondern in der Art, wie Organisationen gesteuert werden. Während klassische Modelle auf umfassende Regeln und Vorgaben setzen, erfordert Agilität Disziplin, Selbstorganisation und Verantwortungsbewusstsein. Warum genau dieser Sprung vielen Organisationen so schwerfällt, beleuchtet dieser Beitrag.

 

Warum die Wahl des Vorgehensmodells mehr ist als eine Methode

Unternehmen, die agil arbeiten wollen, fokussieren oft nur auf neue Prozesse, unterschätzen aber die organisationalen und kulturellen Veränderungen. Der Übergang von klassischen Modellen wie Wasserfall und V-Modell zu Scrum oder Kanban erfordert eine völlig andere Denkweise in Bezug auf Steuerung und Kontrolle. Was früher durch Regeln und Prozesse definiert wurde, braucht heute Disziplin und Selbstverantwortung – ein Paradigmenwechsel, der oft scheitert. Die Entwicklung der Vorgehensmodelle zeigt, dass dieser Wandel keineswegs zufällig geschieht, sondern eine logische Evolution durchläuft.

Die Evolution der Vorgehensmodelle – Von Wasserfall bis Kanban

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Das Wasserfallmodell steht für maximale Planbarkeit durch strikte Regeln. Der Fokus des Modells liegt stark auf einem klaren Prozess mit umfassender Beschreibung von Rollen, Prozessen, Regeln und jeder Menge Vorlagen. Es basiert auf klaren Phasen wie Analyse, Design, Umsetzung, Test und Deployment. Diese Struktur ermöglicht eine hohe Kontrolle und Vorhersehbarkeit, ist jedoch problematisch, da Feedback oft erst nach der Fertigstellung eines Produkts erfolgt. Änderungen sind in späteren Phasen kostspielig und Kundenbeteiligung beschränkt sich meist auf den Anfang und das Ende des Projekts. In der Schweiz basierte das HERMES-Modell des Bundes ursprüngliche stark auf Wasserfall-Prinzipien mit vorgegebenen Rollen, Vorlagen und Prozessen. Auch wenn HERMES stetig weiterentwickelt wird und es heute auch eine agile Variante gibt, ist der Ansatz einer "Überregulierung" nicht zu übersehen.

Das V-Modell erweiterte das Wasserfallprinzip durch eine strukturierte Qualitätssicherung, indem jeder Entwicklungsstufe eine entsprechende Teststufe zugeordnet wurde. Gleichwohl das V-Modell immer noch sehr stark prozessorientiert ist, wurde der Fokus des Modell stärker auf die Qualität gelegt. Dies erhöhte zwar die Testabdeckung, führte jedoch weiterhin zu langen Entwicklungszyklen und einer späten Fehlererkennung. Ein flexiblerer Ansatz wurde mit dem Rational Unified Process (RUP) eingeführt, der erstmals einen iterativen Entwicklungsansatz etablierte. Kundenfeedback wurde früher eingeholt, Qualität blieb ein zentraler Bestandteil und Entwicklungszyklen wurden verkürzt. Der Gedanke in Iterationen vorzugehen wurde ergänzt mit dem Ansatz, dass ganze Teams mit unterschiedlichen Kompetenzen sowie enger zusammenarbeiten, dass die aus dem Wasserfall und V-Modell bekannten Disziplinen theoretisch gemeinsam starten, Wissen teilen und so noch früher potentielle Herausforderungen entdeckt werden. Dennoch war RUP weiterhin ein umfangreiches Regelwerk, das eine Balance zwischen Prozessstrukturen und Flexibilität suchte. Ein möglicher Ansatz zur Lösung dieser Herausforderung war die Möglichkeit, den RUP auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen (Tayloring).

Randnotiz: RUP war zunächst ein relativ schlankes Modell, dass dann dank die Verwendung durch eine immer grössere Community stetig weiterentwickelt wurde. Das ursprünglich schlanke RUP wurde komplexer und umfassender. Die Anpassung auf jeweilige Kundensituation (Tayloring) entwickelte sich fast zu einer eigenen Disziplin. Wer die Parallelen zu SAFe erkennt, darf gerne schmunzeln.

Mit der Einführung von Scrum wurde ein radikaler Bruch mit bisherigen Vorgehensweisen vollzogen. Scrum minimierte das Regelwerk und konzentrierte sich auf wenige feste Rollen, iterative Entwicklungszyklen und eine hohe Anpassungsfähigkeit. Der Fokus verschob sich erneut. Im Kern fokussiert Scrum auf ein cross-funktionales Team mit klarem Produktfokus. Verantwortung wurde stärker auf die Teams verlagert, die nun selbstorganisiert arbeiten sollten. Kanban ging sogar noch einen Schritt weiter und reduzierte formale Vorgaben auf ein Minimum. Es gibt keine festen Rollen oder Iterationen, sondern nur ein visuelles Workflow-Management mit kontinuierlicher Verbesserung. Der Fokus liegt folglich klar auf dem Prozess und dessen kontinuierlicher Verbesserung. Das macht auch absolut Sinn, da Kanban eine Lücke schliesst, die durch den klaren Produktfokus von Scrum entstanden ist. Nicht alle Teams haben diesen klaren Produktfokus und scheitern mit Scrum grandios, weil sich beispielsweise der Betrieb einer Lösung nicht (sinnvoll) in Sprints planen lässt. Während Kanban maximale Anpassungsfähigkeit ermöglicht, erfordert es ein Höchstmass an Disziplin, da es vollständig auf Transparenz und Eigenverantwortung basiert. Unternehmen, die auf hierarchische Kontrolle angewiesen sind, tun sich mit diesem Ansatz oft besonders schwer.

Von Regeln zu Disziplin – Der unsichtbare Paradigmenwechsel

Mit der Entwicklung dieser Modelle hat sich ein grundlegender Wandel vollzogen. Während das Wasserfall- und V-Modell stark reglementiert und durch umfassende Vorgaben gesteuert waren, reduzierten Scrum und Kanban diese auf ein Minimum. RUP markierte einen Zwischenweg, der bereits iterative Prozesse einführte, aber weiterhin viele Prozesse formalisierte. Der grösste Unterschied besteht darin, dass klassische Modelle klare Prozesse und Vorgaben als Steuerungsinstrument nutzen, während agile Modelle auf Eigenverantwortung, Selbstorganisation und disziplinierte Arbeitsweisen setzen.

Viele agile Transformationen scheitern, weil Unternehmen diesen Paradigmenwechsel nicht bewusst vollziehen oder sich nicht bewusst sind, auf welchem methodischen Fundament sie die Transformation starten. Sie wollen agile Methoden einführen, ohne die notwendige Disziplin aufzubauen. Hat eine Organisation über Jahre ein solides methodisches Fundament (siehe den Beitrag technische Exzellenz zu diesem Thema) erarbeitet und eingesetzt, dann bildet dies eine Basis, dann sind da Regeln vorhanden. Ohne klare Regeln entsteht jedoch Chaos, wenn Disziplin nicht ausreichend verankert ist. Führungskräfte und Teams sind es gewohnt, dass Regeln für sie denken – in agilen Systemen müssen sie hingegen selbstständig Entscheidungen treffen. Agilität ist keine Freiheit von Struktur, sondern erfordert eine neue Art der Steuerung durch Eigenverantwortung.

Die Herausforderung des Sprungs von der Hero- zur agilen Organisation

Viele Organisationen bewegen sich historisch entweder in einem heroischen oder in einem prozessgesteuerten Modell. In einer Hero-Organisation basieren Entscheidungen auf wenigen starken Individuen, während eine Prozess-Organisation auf klaren Prozessen und festen Regeln beruht. Agile Organisationen hingegen setzen auf maximale Eigenverantwortung, was nicht nur eine andere Methodik, sondern auch eine veränderte Kultur erfordert. Viele Unternehmen, die den Sprung zur Agilität wagen, unterschätzen, dass sie damit sowohl die alten Hierarchien als auch die gewohnten Kontrollmechanismen hinter sich lassen müssen. Wenn weder ein einzelner Entscheider noch ein starrer Prozess mehr die Richtung vorgibt, bleibt nur eine Lösung: Disziplin, Transparenz und Zusammenarbeit auf allen Ebenen.

Wie gelingt der Sprung zur agilen Organisation?

Um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten, müssen Unternehmen zunächst verstehen, dass Agilität nicht weniger, sondern eine andere Art von Steuerung erfordert. Es reicht nicht aus, agile Prozesse zu implementieren, wenn Verhalten und Kultur nicht gleichzeitig angepasst werden. Disziplin wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor – klare Meetings, strukturierte Retrospektiven und regelmässiges Feedback sind unerlässlich. Führung muss sich von einer anweisenden zu einer unterstützenden Rolle verändern, die den Teams hilft, sich selbst zu organisieren. Der Übergang von einer regelbasierten zu einer disziplinierten Organisation ist herausfordernd, aber notwendig, um langfristig erfolgreich zu sein.

Warum agile Organisationen mehr Disziplin brauchen als klassische Modelle

Agilität ist keine Befreiung von Regeln, sondern eine neue Art der Steuerung. Der Übergang von Regeln zu Disziplin ist der schwierigste Teil der agilen Transformation. Organisationen, die diesen Paradigmenwechsel nicht bewusst gestalten, werden immer wieder scheitern. Wer Agilität nur als Methode versteht, ohne das dahinterliegende Verhalten zu verändern, wird langfristig nicht erfolgreich sein. Die entscheidende Frage für Unternehmen lautet daher nicht nur, ob sie agil arbeiten wollen, sondern ob sie bereit sind, die notwendige Disziplin für echte Selbstorganisation aufzubauen.

 

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