dot.tipp - New new work oder die Arbeitswelt nach Corona
Die schlimmsten Zeiten scheinen vorerst vorbei. Der Soft Lockdown ist zu Ende und wir bewegen uns in eine neue Normalität. Neu einerseits, weil viele Einschränkungen immer noch gelten und dies vielleicht noch für längere Zeit. Andererseits aber auch, weil wir durch die disruptive und erzwungene Verschiebung in eine räumlich distanzierte, digitalere Arbeitswelt deren Vor- und Nachteile in extremis hautnah erlebt haben. Zeit, sich die Frage zu stellen, was bleiben soll und was ruhig wieder vorbeigehen soll.
Mit der Beschliessung der ausserordentlichen Lage gemäss Epidemiegesetz wurden vom Bundesrat am 16. März drastische, rückblickend betrachtet glücklicherweise auch wirksame, Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung in Kraft gesetzt. Am 27. April wurden erste Lockerungen vollzogen, gefolgt von weitergehenden Normalisierungen am 11. Mai. Heute, am 28. Mai 2020, liegen die letzten Schritte Richtung Normalzustand noch keinen Tag zurück und dennoch: Wer sich in Zürich auf die Strasse wagt, merkt schnell, dass noch lange nicht alles so wie früher ist.
"The future ain’t what it used to be" Yogi Berra
Früher in einer fernen Welt ohne Coronavirus meine ich. Anfangs Februar also, in einer Schweiz ohne soziale Distanzierung. Ohne Händedesinfektion und ohne 5-Personen-Regel. Aber auch ohne Zoom Meetings und Home Office. Hört sich jetzt gerade nicht so positiv an, doch hat das Ganze eigentlich auch Vorteile gebracht? War alles nur schlecht? Im folgenden Text werde ich diesen Fragen nachgehen und dafür plädieren, doch bitte nie wieder ganz normal zu werden.
Jetzt können wir es sagen: Die Umstellung war hart!
Am Anfang war alles schwierig. Mitte März. Wir waren schockiert. Wollten nicht wahrhaben, dass unser angenehmes Leben so unvorbereitet vorbei sein soll. Gewohnte Fixpunkte von einem Tag auf den anderen wegfallen. Hier ist er also. Der disruptive Change. Die VUCA-Welt von der wir jahrelang geredet haben. Nun ist also alles anders. Auf unabsehbare Zeit.
Keine Kinderbetreuung durch die Grosseltern, keine KITA und auch kein von Lachern begleiteter Kaffeeplausch im Kaffeeräumchen im Büro. Keine tollen Workshops mit 25 Personen und auch kein Feierabendbier mit den Kollegen. Dazu die Angst. Im Supermarkt oder im Lift. Wir waren frustriert und haben uns machtlos gefühlt.
Irgendwann haben wir uns dem Schicksal gefügt. Wir haben angefangen zu experimentieren. Erste Zoom- und Miro-(Test-)Lizenzen gelöst. Tägliche Team Check-Ins via MS Teams gemacht und uns remote zum Kaffee getroffen. Wir haben gelacht über die ungekämmten Haare des sonst so adretten Kollegen. Über das schreiende Kind, das unsere Meetings unerwartet gecrasht hat. Und teilweise vielleicht auch über den aus unserer Sicht irgendwie speziellen Möbel- und Bildergeschmack unserer eigentlich schon gut bekannten Kolleginnen und Kollegen. Und irgendwie hat uns das menschlicher gemacht. Nahbarer. Hierarchien wurden subtil umgestellt, denn plötzlich war der Chef oder die Chefin nicht mehr immer der oder die Kompetenteste im (virtuellen) Raum und der Praktikant oder die Praktikantin konnte mit bisher übersehenen Technik-Skills glänzen.
Plötzlich wurde vieles wieder leichter
Nicht nur im virtuellen Büro, sondern auch Zuhause haben wir Vorteile entdeckt. Ein bisschen länger schlafen. Anfangs ungeplant und dann mit später eingestelltem Wecker. Mit der Familie mittagessen und hey! Ich kann ja sogar selbst kochen. Nachdem wir beim Online Retailer endlich einen Slot für die Heimlieferung erhalten haben, haben wir uns gefreut, wie einfach Einkaufen plötzlich sein kann. Und dies obwohl wir immer entweder zu viel oder zu wenig Obst hatten.
Auch das erzwungene Gespräch mit dem bekannten und doch unbekannten Nachbarn im morgendlichen ÖV-Gedränge haben wir nicht wirklich vermisst. 15 Minuten weniger reden, wo es nichts zu sagen gab.
Doch irgendwann wurden wir müde. Die Haare wurden lang. Das immer gleiche, selbstgekochte Essen hat uns gelangweilt und ein Bier, auch wenn die super Premium Version vom Online Retailer, schmeckte alleine auf dem Balkon nicht mehr gleich. Und irgendwann sind wir wieder raus gegangen und haben bemerkt: Die Welt ist wieder ein stückweit normal. Nicht das vorherige normal, aber normaler. Wann wird sie wieder normal? Soll sie überhaupt wieder normal werden?
Der Vorteil eines negativen Starts: Man darf hoffen, dass es besser wird. Aus diesem Grund möchte ich mit den vielen Nachteilen starten, die uns das Coronavirus in Bezug auf die (Zusammen-)arbeit (zusammen arbeiten, genau) - auf diese möchte ich mich hier auch beschränken -, gebracht hat. Dies mit dem Ziel, danach auch auf die Sonnenseiten hinzuweisen. Und diese, so hoffe ich, werden uns noch länger begleiten.
Starten wir also mit dem Schlechten
Team heisst nicht Toll-Ein-Anderer-Machts. Team heisst, gemeinsam ein Ziel zu erreichen, welches auch nur gemeinsam erreicht werden kann. Indem man zusammen arbeitet. Und genau dieses zusammen arbeiten ist schwieriger geworden im Home Office. Für Einzelkämpfer mag das gut sein. Sie haben nun endlich Zeit für Deep Work. Ungestört von permanenten Unterbrechungen der Kolleginnen und Kollegen, die ständig an den Arbeitspult treten. Alle anderen jedoch können nun kein Arbeitsmaterial mehr über den Tisch reichen und nicht gemeinsam am Flipchart stehen. Ja. Vieles lässt sich technisch lösen. Neue Tools wie Miro bieten Abhilfe, aber auch diese können das bilaterale und oft so wichtige klärende Gespräch in der Pause nicht ersetzen, wenn die zwei Hitzköpfe im Team wieder einmal laut aneinander geraten sind. Und diese Erkenntnis alleine reicht eigentlich schon für ein erstes Zwischenfazit. Vollständiges und dauerhaftes Remote Arbeiten ist - zumindest in Team-Berufen - (noch) nicht möglich. Breakout Rooms hin oder her.
Weniger gut ersetzbar sind auch die informellen Treffen. Die wichtigen unwichtigen Gespräche, die neue gemeinsame Projekte initiieren und uns neue Menschen näher gebracht haben. Die Innovationstreiber in vielen Firmen waren. Der Schwatz am Wasserspender oder in der Schlange in der Mensa. Das gemeinsame Mittagessen mit der Kollegin oder dem Kollegen aus der anderen Abteilung. Aber auch hier haben sich neue Formate herausgebildet. Zum Beispiel: Remote Kaffee-Treffen, in welchen sich jede und jeder einwählen konnte. Vielleicht braucht es solche Formate in jeder Organisation? Vielleicht lässt sich das Spontane ein Stück weit planen? Ein Versuch ist es wert, denn ohne Priorität in der Agenda gehen solche wichtigen Diskussionen unter wie der Bio-Break im Zoom-Meeting.
Auch das Thema Work-Life-Balance hat bei vielen gelitten. Wie grenze ich mich ab? Von den Arbeitskollegen aber auch von den Familienmitgliedern. Wann ist Arbeits- und wann ist Familienzeit? Auch hier helfen klare Zeiten und Absprachen, an welche man sich hält.
Was oft vergessen geht: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Klar haben viele von uns angefangen zu joggen und haben das verrostete Rennrad aus dem Keller geholt, doch seien wir einmal ehrlich: Allzu viel bewegt haben wir uns sonst eigentlich nicht und auch der nicht vorhandene Bürostuhl und der unergonomische Esstisch, auf dem der Laptop stand, hat unserem Rücken nicht nur gut getan.
Und enden mit dem vielen Tollen!
Doch lassen wir das Negative einmal beiseite. Vieles wollen wir nicht mehr wirklich loslassen. Die Mehrzeit mit unseren Liebsten wollen wir doch nie mehr wirklich zurückgeben. Am Anfang war es stressig, ja, aber unterdessen geniessen wir die Zeit am Mittagstisch, den nicht vorhandenen Stress am Morgen in der Dusche und die kurze gemeinsame Pause mit dem Junior. Wir Männer haben noch ein bisschen mehr gelernt, was es bedeutet, wirklich in die gesamte Palette an Familienarbeiten involviert zu sein und das ist gut so.
Die Mehrzeit entsteht primär durch den Wegfall des Pendelns. Ein bekannter Unglücksfaktor, das weiss die Glücksforschung schon länger. Ein Unglücksfaktor auch für die Umwelt, vor allem bei denen, die nach London und Berlin gependelt sind.
Dass wir digital kompetenter geworden sind, liegt auf der Hand. Diesen aber auf die Mehrkompetenz im Aufsetzen von Zoom-Meetings zu reduzieren, greift zu kurz. Und damit meine ich nicht, dass man auch Breakout Rooms und Miro Boards können muss. Wir sind uns auch menschlich näher gekommen mit unseren unaufgeräumten Wohnungen und ungekämmten Haaren oder ward ihr immer im Anzug? Ich nicht.
Im Fazit plädiere ich dafür, nie mehr normal zu werden! Bilaterale Gespräche, die geplanten meine ich, führe ich auch in Zukunft gerne via Remote Tool. Damit spare ich enorm Zeit, denn wie oft bin ich in der Vergangenheit für ein einstündiges Meeting mit einem Kunden drei Stunden im Zug gesessen? Wichtig bleibt die Abgrenzungsleistung, vor allem für Leute, die sich als Separator (Arbeit und Freizeit werden klar getrennt) und nicht als Integrator (wann Arbeits- und wann Freizeit ist, ist nicht eng definiert) verstehen. Für alle diejenigen also, die keine Arzttermine während der Arbeit vereinbaren und auch keine Arbeits-E-Mails am Abend beantworten.
Und im Bereich Co-Creation brauchen wir vermutlich noch ein paar Wochen Lockdown mehr, um auch dieses Thema erfolgreich anzugehen. Aber auch das wird passieren. Das können wir nun in den nächsten fünf Jahren in Strategie-(remote-)Digitalisierungssitzungen planen. Genauso wie wir das mit Remote Meetings auch gemacht haben. Bevor das Coronavirus alles in zwei Wochen umgesetzt hat.
Und klar: Eine gute Kaffeemaschine braucht man mehr denn je.
Welcome to the new world!
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